Der Betriebsprüfer als Straftäter

Dass eine Betriebsprüfung keine besonders angenehme Angelegenheit ist, ergibt sich zwangsläufig aus den gegenläufigen Interessen der Beteiligten: Dem Prüfer geht es darum, die Prüfung ohne großen Aufwand mit einem hübschen steuerlichen Mehrergebnis abzuschließen. Der Steuerpflichtige, dem das Finanzamt auf die Finger schaut, fürchtet hohe Steuernachzahlungen und manchmal hofft er auch, dass die eine oder andere „kreative“ Steuererklärung ohne strafrechtliche Folgen bleibt.

Die Betriebsprüfung als Basar?

Dabei könnte alles so einfach sein, wenn der Steuerpflichtige dem Betriebsprüfer eine Handvoll Feststellungen gönnt und der Prüfer bei der einen oder anderen Unregelmäßigkeit ein Auge zudrückt. Die Hoffnung auf einen „einvernehmlichen Prüfungsverlauf“ hat schon so manchen gewieften Steuerpflichtigen auf die Idee gebracht, für seinen Betriebsprüfer leicht zu findende „Ostereier“ in den Büchern zu „verstecken“, in der Hoffnung, mit schwerwiegenderen Schummeleien durchzukommen. Die Betriebsprüfung als Basar, die Schlussbesprechung als großes Feilschen – warum nicht? Alte Haudegen unter den Steuerberatern erzählen oft und gerne von ihren großen Erfolgen in dieser Disziplin.

Mitteilungspflichten beim Verdacht einer Steuerstraftat

Das Gesetz sieht das nicht so gerne: Ergibt sich während einer Betriebsprüfung der Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung oder auch nur die Möglichkeit eines solchen Verdachts, soll der Betriebsprüfer die Prüfung unverzüglich unterbrechen und die Bußgeld- und Strafsachenstelle informieren. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle leitet aufgrund dieser Information häufig ein Ermittlungsverfahren gegen den Steuerpflichtigen ein, der als Beschuldigter belehrt wird. Erst dann darf die Prüfung fortgesetzt werden (vgl. § 10 Abs. 1 Betriebsprüferordnung– „BpO“).

Aber unter welchen Vorzeichen? Das Prüfungsklima jedenfalls ist frostig. Der Steuerpflichtige – jetzt in der Regel anwaltlich beraten – wird sehr genau abwägen, ob und in welchem Umfang er seine Mitwirkungspflichten in der Betriebsprüfung erfüllt und wo er sich lieber auf sein Schweigerecht beruft. Für den Prüfer wird es schwer, die Prüfung kompliziert und konfliktbeladen. Oft müssen die Besteuerungsgrundlagen mühsam geschätzt werden – mit ungewissem Ausgang, ob die Schätzung am Ende – etwa vor dem Finanzgericht – halten wird.

Strafvereitelung durch Verletzung der Meldepflicht

Für den Betriebsprüfer läge deshalb nahe, die Mitteilung an die Bußgeld- und Strafsachenstelle bei einer Verdachtslage hinauszuzögern oder gleich ganz darauf zu verzichten – was tatsächlich lange so gehandhabt wurde. In der Zwischenzeit nehmen aber findige Staatsanwälte Anstoß an dieser Praxis. Indem er seinen Verdacht – entgegen der Verpflichtung aus § 10 Abs. 1 BpO – bei sich behält, verhindert der allzu verschwiegene Betriebsprüfer, dass gegen den hinterziehungsgeneigten Steuerpflichten Ermittlungen wegen des Verdachts einer Steuerstraftat aufgenommen werden. Das lässt sich in der Regel zwanglos unter den Tatbestand der Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB) fassen: „Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft […] wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Finanzverwaltung konkretisiert Informationspflicht

Einige Zeit beließen es die Staatsanwaltschaften dabei, die Beamten der Betriebsprüfungsstellen vor dem Strafbarkeitsrisiko zu warnen. Schon das sorgte für Unruhe in der Finanzverwaltung, so dass die obersten Finanzbehörden der Länder im Jahr 2009 in gleich lautenden Erlassen Stellung nahmen zu „Anwendungsfragen zu § 10 BpO“. Die Erlasse konkretisieren die Informationspflicht und sollen den Prüfern helfen zu entscheiden, wann und in welchen Fällen sie der Bußgeld- und Strafsachenstelle Meldung machen müssen. Die Lektüre der „Anwendungsfragen zu § 10 BpO“ ist empfehlenswert, weil sie einen Eindruck vermittelt, wann eine Betriebsprüfung in eine Fahndungsprüfung umzuschlagen droht. Interessant ist zum Beispiel, dass eine Unterrichtung der Bußgeld- und Strafsachenstelle unterbleiben kann, wenn „bei offensichtlich leichtfertiger Begehensweise nur der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit im Raume steht“ und „das aufgrund der Tathandlung zu erwartende steuerliche Mehrergebnis insgesamt unter 5.000 € liegt“. Erfahrungsgemäß ist eine solche Schwelle kein großes Hindernis.

Landgericht Stuttgart: Verletzung der Meldepflicht ist strafbar

In der Praxis ließ sich mit zunehmender Bekanntheit der Meldepflicht ein signifikanter Anstieg von Ermittlungsverfahren beobachten, die aus Betriebsprüfungen entstanden waren. Möglicherweise wird sich dieser Trend nochmals verschärfen, wenn ein Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 24.03.2020 Schule macht (LG Stuttgart, Beschluss vom 24.03.2020 – 61 Ns 142 Js 114222/16):

Die Strafkammer war der Auffassung, dass ein Betriebsprüfer u.a. wegen seiner besonderen Stellung im Besteuerungsverfahren und der in § 10 Abs. 1 BpO geregelten Meldepflicht das Recht und die Pflicht hat, „Ermittlungshandlungen bei Steuerstraftaten sicherzustellen“. Aus dieser Garantenstellung folgt, dass ein Betriebsprüfer, der gegen die Meldepflicht verstößt, sich wegen Strafvereitelung durch Unterlassen strafbar macht. Damit ist dem Grunde nach erstmals gerichtlich festgestellt, was die Staatsanwaltschaften den Betriebsprüfern bislang lediglich als Drohszenario ausmalten. Betriebsprüfungen werden vor dem Hintergrund der Stuttgarter Entscheidung jedenfalls nicht angenehmer werden.

Für den Betriebsprüfer ging das Verfahren gleichwohl glimpflich aus; das Landgericht stellte das Verfahren wegen geringer Schuld ein. Ein Schuss vor den Bug oder die berühmten zwei Krähen in Person zweier Staatsdiener? Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Wir begleiten Unternehmen in Betriebsprüfungen und verteidigen Unternehmer in Ermittlungsverfahren, wenn die Außenprüfung in eine Fahndungsprüfung umgeschlagen sein sollte.

Dr. Hilmar Erb, Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht
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