IT-Projekte: Wie Sie die entscheidenden Weichen am Anfang stellen

Viele Fehler passieren gleich am Anfang eines Projekts, zeigen sich aber erst später: Das Produkt erweist sich dann als zu komplex für die Anwender, es fehlt an Funktionalitäten, scheinbare Selbstverständlichkeiten sind nur mit erheblichem Mehraufwand zu realisieren. Oder der Auftraggeber muss feststellen, dass die Kommunikation mit den Mitarbeitern seines Vertragspartners nicht klappt, weil Sprachbarrieren oder unterschiedliche Vorstellungen über Projektmanagement und Vorgehensweisen bestehen. Gerade bei komplexen IT-Projekten gibt es sehr viele unterschiedliche Erwartungen an den Funktionsumfang, an die Bedienung, an die Zusammenarbeit mit den Vertragspartnern usw. Investiert ein Auftraggeber zu wenig Zeit und Mühe in die sorgfältige Auswahl von Standardsoftware und Anbieter, erlebt er während der Implementierung häufig böse Überraschungen.

Die entscheidenden Weichen werden am Anfang gestellt. Deshalb sollten gerade komplexe Projekte sorgfältig geplant und organisiert werden. Denn viele Fehler lassen sich durch gute Vorbereitung vermeiden, während sich im Verlauf des Projekts häufig nur noch der Schaden begrenzen lässt, was ein Vielfaches an Kosten verursacht.

Richtige Auswahl von Anbieter und Produkt- und Leistungsportfolio
Gerät ein Projekt in die Krise, wird vom Auftraggeber häufig der Vorwurf erhoben, das ausgewählte Softwareprodukt sei für seine Bedürfnisse von vornherein ungeeignet gewesen. Dies habe der Auftragnehmer erkennen können und daher bei der Auswahl falsch beraten. Der Auftraggeber hat möglicherweise bereits bei der Auswahl übersehen, dass ein Anbieter gar nicht in Betracht kommt, weil ihm etwa Branchen-Know-how oder Erfahrung in Projekten vergleichbarer Größe fehlen. Kann ein Auftragnehmer zum Beispiel keinen Referenzkunden aus derselben Branche nennen, kann dies ein Indiz dafür sein, dass er und/oder sein Produkt- bzw. Leistungsportfolio für einen Auftraggeber nur bedingt geeignet ist.

Realistische Erwartungshaltung
Standardsoftwareprodukte und standardisierte Serviceleistungen haben eine begrenzte Flexibilität, dafür sind sie kostengünstiger als individualisierte Lösungen. Anpassungen und Individualisierungen sind technisch möglich, sollten allerdings im Rahmen bleiben, damit die Vorteile eines „Standards“ nicht durch umfassende Individualisierung wieder verloren gehen. Auftraggeber (und deren Berater) müssen sich vor Augen halten, dass es kein System und kein Leistungsportfolio gibt, das alle kundenspezifischen Anforderungen erfüllt. Es ist notwendig, sich für Software oder Leistungsportfolio zu entscheiden, die den bestehenden Anforderungen am nächsten kommen.

Dabei sollten sie einerseits überlegen, wie Geschäftsprozesse optimiert und modifiziert werden können, um die Defizite der in Betracht kommenden Software oder des Leistungsportfolios auszugleichen. Auch die Erwartungshaltung der outsourcenden Auftraggeber und der Outsourcing-Dienstleister deckt sich nicht immer. Eine Leistungsbeschreibung sollte für beide Seiten transparent sein, Lücken und Inkonsistenzen sollten möglichst weitgehend vermieden werden.

Beratung bei der Auswahl
IT-Kosten sind für die Auftraggeber ein sensibles Thema. Mit neuen Projekten sollen vor allem die aktuellen Kosten reduziert werden. Daher scheuen sich viele Auftraggeber, zusätzliche Kosten für Berater aufzuwenden, obwohl sie dadurch mittelfristig Geld sparen können. Denn eine gute Beratung kann helfen, Implementierungsaufwand zu vermeiden, der durch zusätzliche – bei richtiger Vorbereitung und Auswahl überflüssige – Anpassungsleistungen entsteht. Zudem fallen spätestens bei Projektschieflagen Kosten für zusätzliche Berater an, die meist wesentlich höher liegen als bei einer geplanten und strukturierten Projektvorbereitung.

Gerade Auftraggeber, die wenig Erfahrung mit IT-Projekten haben und denen geeignete Mitarbeiter fehlen, sollten bei der Produktauswahl und bei der Planung des Projekts einen fachlichen und/ oder technischen Berater hinzuziehen. Versierte Berater können dabei helfen, überzogene Erwartungen auf ein realistisches Niveau zu senken, und dafür sorgen, dass die Anwender des Auftraggebers wissen, was im Projekt auf sie zukommt. Anpreisungen und Zusagen des Vertriebs lassen sich besser hinterfragen, Angebote auf ihre Schwachstellen analysieren. Teilweise lohnt es auch, einen Berater zur Geschäftsprozessanalyse hinzuzuholen, der beurteilen kann, an welchen Stellen es sich lohnt, die internen Abläufe zu hinterfragen und an die Funktionalität eines neuen Systems anzupassen. Mit einem neutralen Dritten gelingt dies meist besser als mit den eigenen Mitarbeitern, die gewohnte Abläufe naturgemäß ungern aufgeben.

Messbare Auswahlkriterien festlegen
Leider stehen bei Auswahl eines Produkts oder Anbieters häufig der Preis und der Go-Live-Termin im Vordergrund. Bei den Anforderungen oder dem Leistungsportfolio verlassen sich Auftraggeber gerne auf indifferente Zusagen, anstatt bereits für die Auswahl des zukünftigen Vertragspartners ein Lastenheft oder Leistungsverzeichnis zu entwerfen und sich anhand dessen von der Eignung des angebotenen Produkts/Leistungsportfolios zu überzeugen – siehe dazu auch meinen Beitrag „IT-Outsourcing. Worauf Unternehmen bei der Leistungsbeschreibung achten müssen“.

Dass Standardprodukte von anderen Auftraggebern produktiv genutzt werden, ist kein sicheres Indiz dafür, dass das Produkt auch die eigenen Anforderungen abbilden kann. Natürlich spricht der erfolgreiche Einsatz eines Produkts durch Wettbewerber dafür, dass es für eine bestimmte Branche geeignet ist. Besser ist es jedoch, die Auswahl anhand eines Lastenhefts vorzunehmen, das detailliert genug ist, um die an den Anbieter und sein Produkt gestellten Anforderungen beurteilen zu können. Das Lastenheft kann dann auch die Grundlage für das in der ersten Phase der Implementierung zu erstellende Pflichtenheft bilden. Wenn der Auftraggeber Unterstützung bei der Erstellung des Lastenhefts benötigt, sollte er auch auf externe Berater zurückgreifen. Diverse Beratungshäuser haben sich auf die Unterstützung bei der Anforderungsermittlung und -analyse spezialisiert.

Nebenleistungen und -systeme berücksichtigen
Bei der Vorbereitung eines Projekts lohnt sich der Blick über den eigenen Tellerrand. Welche weiteren Systeme sind davon betroffen und mit welchen weiteren Aufwänden ist zu rechnen?

• Nebensysteme: Von der Einführung eines neuen Systems sind häufig auch andere Systeme und Anwendungen betroffen, die angebunden werden müssen - etwa bestehende komplexe Individuallösungen für bestimmte Unternehmensbereiche. Solche Anbindungen lassen sich meist über Schnittstellen realisieren. Das bedeutet jedoch auch, dass ein Datenaustausch konzipiert und implementiert werden muss. Auftragnehmer sollten tunlichst vor Abgabe des finalen Angebots hinterfragen, welche Umsysteme einzubinden sind, damit sie dafür einen realistischen Aufwand kalkulieren können.
• Infrastruktur: Auch bei modernen Softwaresystemen können durch Hardware und/ oder andere Infrastrukturkomponenten erhebliche Zusatzkosten anfallen, die dem Auftraggeber zu Beginn des Projekts bekannt sein sollten und die nicht erst bei der Implementierung auftauchen. Von der richtig dimensionierten Hardware kann die Performance eines Systems abhängen, die von entscheidender Bedeutung für die Zufriedenheit der Anwender ist.
• Migration: Nicht erst während der Implementierung, sondern bereits bei der Vorbereitung eines Projekts sollten sich beide Vertragspartner überlegen, ob Altdaten übernommen werden müssen, in wessen Verantwortung die Migration liegt und wer für Konsistenz und Qualität der Altdaten sorgt. Für die Migration werden Ressourcen benötigt und es fallen zusätzliche Kosten an, die bei der Budgetierung des gesamten Projekts zu berücksichtigen sind.
• Projektmanagement und Schulung: Häufig wird dem Projektmanagement und der Schulung wenig Aufmerksamkeit geschenkt und nicht geklärt, ob Aufwände ausreichend beschrieben und kalkuliert sind. Das ist gefährlich. Wenn Projekte in Schieflage geraten, zeigt sich in den meisten Fällen, dass die Vertragspartner dem Management nicht genügend Bedeutung beigemessen haben. Es fehlt beispielsweise am Change-Management und an einer nachvollziehbaren Projektdokumentation. Die Vertragspartner sollten in der Projektvorbereitungsphase festlegen, welche Art von Projektdokumentation es geben soll und wer für die Erstellung und die Schulung der Mitarbeiter verantwortlich ist.

Mitarbeiter und Management vorbereiten
Viele IT-Projekte scheitern nicht an der Technik, sondern an den Menschen. Häufig entzünden sich Konflikte daran, dass die Kommunikation zwischen den Vertragspartnern nicht stimmt, dass es dem Projekt von Beginn an der Akzeptanz der Anwender mangelt oder dass das Management dem Projekt nicht die erforderliche Aufmerksamkeit widmet.

Es stellt sich dann heraus, dass viele Probleme ihre Ursachen in Missverständnissen oder in der Art der Kommunikation (etwa aufgrund interkultureller Unterschiede oder abweichender Unternehmenskulturen) haben. Die Vertragspartner sollten sich während der Projektvorbereitung Gedanken zu Kommunikationswegen, Ansprechpartnern, Projektsprache und Art des Dokumentenaustauschs machen und ein entsprechendes Regelwerk als Vertragsbestandteil entwerfen.

Der Auftragnehmer ist auf die Kooperation der Mitarbeiter des Auftraggebers angewiesen; vor allem bei Konzeption, Tests und Abnahmen geht es nicht ohne die Mitarbeiter des Auftraggebers. Der Auftraggeber muss selbst die notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit seine Mitarbeiter den Erfolg des Projekts fördern und nicht boykottieren. Die Mitarbeiter sollten auf die Aufgaben, die auf sie zukommen, vorbereitet sein und bei Planung und Entwicklung der Zielsetzung mit einbezogen werden.

Ein IT-Projekt braucht die volle Aufmerksamkeit des Managements - nicht nur während der Vorbereitung, sondern während der gesamten Laufzeit. Sofern die Vertragspartner Projektgremien wie Steuerungsausschüsse bilden, sollten sie dafür sorgen, dass für beide Seiten ein Mitglied aus Vorstand oder Geschäftsführung oder jedenfalls Mitarbeiter aus dem oberen Management vertreten sind. Vor allem, wenn es an der Akzeptanz der Anwender fehlt, ist es notwendig, für die Einbindung des Managements zu sorgen. Auftragnehmer sollten auch nicht davor zurückschrecken, dies als Mitwirkung einzufordern.

Zeit und Budget realistisch planen
Dass IT-Projekte finanziell und zeitlich aus dem Ruder laufen, ist leider eher der Regelfall als die Ausnahme. Umso erbitterter wird dann über Verzugsfolgen und die Höhe der Mehraufwände gestritten. Keinem Vertragspartner nützt eine unrealistische Zeitplanung. Unhaltbare Zusagen führen zu Unmut und dann zu Krisen, die nicht selten mit dem Scheitern eines IT-Projekts enden. Termine sollten daher mit Bedacht vereinbart und vorschnelle Terminzusagen kritisch hinterfragt werden.

Ähnlich verhält es sich mit Budgets und Kosten. Beiden Vertragspartnern ist nur mit einer realistischen Einschätzung der Kosten geholfen, die alle Faktoren eines Projekts (einschließlich einer Kalkulation der Aufwände für die Mitwirkung des Auftraggebers) berücksichtigt. Die Vertragspartner sollten sich insbesondere über folgende Budgetbestandteile Gedanken machen:
• Anpassung und Optimierung von Geschäftsprozessen;
• Beschaffung und Implementierung erforderlicher Add-Ons und Tools;
• Migrationsleistungen;
• Pflege und Wartung (z.B. der Infrastrukturkomponenten);
• weitere Berater;
• Mitwirkungsleistungen des Auftraggebers.

Die passende Vertragsform wählen
Die richtige und sorgfältige Gestaltung des Vertrags sollte einen festen Bestandteil bei der Vorbereitung des Projektes bilden. Dazu gehören Überlegungen zur passenden Vertragsart. Nicht immer ist ein Werkvertrag die optimale Lösung für den Auftraggeber und auch ein Dienstvertrag kann erhebliche Risiken für den Auftragnehmer bergen. Für Verzug und Schlechtleistungen haftet auch der Dienstleister nach § 280 BGB. Viele Vertragspartner fürchten auch an dieser Stelle den zeitlichen Aufwand und die Kosten, die jedoch in keinem Fall so hoch sein werden wie die Belastung durch einen späteren Rechtsstreit.

Beide Vertragspartner sollten auf eine gute Vorbereitung besonderes Augenmerk legen. Sie bildet die Grundlage eines erfolgreichen Projekts. Wir beraten Auftraggeber und IT-Dienstleister bei der Projektvorbereitung und helfen ihnen dabei, die relevanten Themen zu identifizieren und zu regeln. Außerdem unterstützen wir Sie bei konkreten Fragen zur Umsetzung des Projekts.

Michaela Witzel, LL.M. (Fordham University School of Law), Fachanwältin für IT-Recht
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