Das Gesetz zur umfassenden Verfolgung der organisierten Steuerhinterziehung – ein Stück symbolischer Gesetzgebung?

Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit einer Bundesratsinitiative vom 27.11.2020 (BR Ds 638/1/20) den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung eingebracht und vorgeschlagen, dass die Strafen für eine bandenmäßig organisierte Steuerhinterziehung erhöht sowie die Aufklärung dieser Straftaten verbessert werden soll.

I. Gesetzgeberisches Ziel

Nach Auffassung des Landes Nordrhein-Westfalen hat die bandenmäßige Hinterziehung aller Steuern – und nicht nur der Umsatzsteuer – erhebliche Ausmaße erreicht, deren Unrechtsgehalt das Strafgesetz bislang nicht angemessen abbildet.

Ziel des Gesetzesentwurfs ist es daher, ein in der Abgabenordnung genanntes Regelbeispiel der besonders schweren Steuerhinterziehung neu zu fassen, um damit härtere Urteile und weitergehende Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen als bisher. Bislang lautete das Regelbeispiel:

„Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter als Mitglied einer Bande […] Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt […]“.

Die Beschränkung auf die „Umsatz- oder Verbrauchssteuern“ soll jetzt gestrichen werden und stattdessen nur noch von „Steuern“ die Rede sein. Die Erweiterung des Tatbestands liegt auf der Hand: Künftig handelt es sich – unabhängig von der Steuerart – um eine Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall, wenn sich eine Bande, das heißt mehr als zwei Personen, zur fortgesetzten Begehung einer Steuerhinterziehung zusammenfindet.

II. Hintergrund

Den Stein für diese Gesetzesinitiative ins Rollen gebracht haben unter anderem prominente Fallkonstellationen wie der Cum/Ex-Skandal und ähnliche steuerrechtliche Fallgestaltungen. Diese „würden durch professionelle Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer wie internationale Investmentbanken systematisch geplant und durchgeführt.“ Die hochprofessionelle und konspirative Zusammenarbeit der Tätergruppen erschwere die Aufklärung der Taten. Besonders die Nutzung verschachtelter Organisationsstrukturen und der Einsatz von Briefkastenfirmen im Ausland, häufig in sog. Steuerparadiesen, erschwerten die Verfolgung der tatsächlichen Abläufe, sodass sich inzwischen ein weit umspannendes Organisationsfeld in der organisierten Wirtschaftskriminalität abgezeichnet habe.

III. Auswirkungen auf die Praxis

Welche Folgen hätte die neue Regelung für die steuerstrafrechtliche Praxis?

Das Gesetz sieht bei einer Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor, während die einfache Steuerhinterziehung mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden kann. Eine Geldstrafe kann deshalb bei einer schweren Steuerhinterziehung nicht mehr verhängt werden – und zwar auch dann nicht, wenn der Hinterziehungsbetrag nur gering ist. Auch eine Einstellung des Verfahrens – ggf. gegen Zahlung einer Geldauflage – ist in solchen Fällen nicht mehr möglich, wie der Bundesgerichtshof schon in einem Urteil aus dem Jahr 2008 entschieden hat.

Zudem dürfte die Neuregelung an seinem selbstgesteckten Ziel vorbeigehen, explizit (und nur?) Hinterziehungsstrukturen in Fällen wie Cum/Ex zu erfassen. Bei derartigen Strukturen liegen die Hinterziehungsbeträge ohnehin schon in regelmäßig astronomischen Höhen, so dass bereits das Regelbeispiel der Steuerhinterziehung im großen Ausmaß (ab 50.000 EUR) verwirklicht ist. Die Änderung des Regelbeispiels ist deshalb dem Grunde nach überflüssig, trägt dafür aber populistische Züge: Eine kosmetische Maßnahme fürs Volk, das angeblich nach härteren Strafen giert?

Mit der Annahme eines besonders schweren Falls (also auch schon bei einer Hinterziehung im großen Ausmaß) verlängert sich davon abgesehen die Verfolgungsverjährung von fünf auf zehn Jahre. Zudem hat der Gesetzgeber den Rechtsanwendern mit dem Zweiten Corona Steuerhilfegesetz – und damit in einer „Mogelpackung“ – eine Verlängerung der sog. absoluten Verfolgungsverjährung (nach deren Ablauf eine Strafverfolgung unter keinen Umständen mehr möglich ist) beschert, die nur bei besonders schweren Fällen anwendbar ist. Damit können bandenmäßige Steuerhinterziehungen in der Praxis bis zu dreißig Jahre lang verfolgt werden.

Gleichzeitig soll – ohne eine zusätzliche Erweiterung des Strafenkatalogs des § 100a StPO – die An-ordnung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen (TKÜ) ausgeweitet werden.

Bedenkt man, dass eine Bande lediglich den Zusammenschluss von drei Personen zur fortgesetzten Begehung von Steuerhinterziehungen voraussetzt, sollte man sich doch noch einmal den gar nicht so praxisfernen Lehrbuchfall vor Augen halten, wonach ein Ehepaar und dessen Steuerberater bei gemeinschaftlich begangener, fortgesetzter Steuerhinterziehung, z.B. durch eine wiederholte „optimierte Beratung“ im Rahmen der Einkommensteuer, eine Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall begeht. Sofern sich diese Täter mit dem ernsthaften Willen zusammenschließen, „künftig für eine gewisse Dauer selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten der gesetzlich umschriebenen Art zu begehen“, kann ihre Hinterziehung dreißig Jahre lang verfolgt werden (unter anderem mit dem Abhören ihrer Mobilfunkverbindungen) und ist zwingend mit einer Freiheitsstrafe zu ahnden, auch wenn der Hinterziehungsbetrag nur wenige tausend Euro beträgt.

Gleiches sollte man überlegen, wenn es um eine Erbengemeinschaft aus drei oder mehr Personen geht, die Erbschaftsteuer hinterzieht, indem sie den Erbfall absprachegemäß nicht oder nicht in vol-lem Umfang bei den zuständigen Behörden anzeigt.

IV. Fazit

Die geplante Neufassung der Abgabenordnung wird kaum dazu führen, dass sich national und international agierende kriminelle Organisationen, die bislang Ertragssteuern und nicht Umsatzsteuer hinterziehen von Ihrem Tun abhalten lassen. Die Änderung des Regelbeispiels wird gerade nicht das erhoffte scharfe Schwert der Justiz sondern eher ein zahnloser Tiger sein, der sich an praktisch be-deutsamen Fällen kaum „überfressen“ wird.

Stattdessen sorgt die Neufassung des Gesetzes durch ihren unreflektiert weiten Anwendungsbereich für leidlich unbedeutende Fälle – und wieder einmal – für eine übermäßige Kriminalisierung der falschen Tätergruppe.

In erster Linie aber ist sie ein weiteres Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber durch signalhaften Aktionismus zeigen möchte, wie sehr es ihm an der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gelegen ist – und wie er ein weiteres Mal mit seiner symbolhaften Politik scheitert.

Wir unterstützen Unternehmer und Privatpersonen im Rahmen steuerlich notwendiger Korrekturen und verteidigen sie sowohl im Ermittlungsverfahren und vor Gericht gegen den Vorwurf der Steuerhinterziehung.