Erleichterungen bei der Durchführung von Gesellschafter- und Hauptversammlungen

Verlängerung der infolge der COVID-19-Pandemie geltenden Regelungen

Um die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu begrenzen und Gesellschafterversammlungen leichter durchführen zu können, trat Ende März 2020 das „Gesetz über Maßnahmen im Gesell-schafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ (COVMG) in Kraft (BGBl. 2020 I, 569). Die Änderun-gen betreffen insbesondere die Durchführung von Gesellschafterversammlungen/ Hauptversammlungen bei GmbH, AG, KGaA und SE. Vorläufig galten die Regelungen bis zum 31.12.2020 und wurden im Oktober 2020 bis zum 31.12.2021 verlängert (BGBl. 2020 I, 2258).

Erleichterungen im Aktienrecht

Bei Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften war es auch vor dem Inkrafttreten der Neu-regelung im März 2020 möglich, dass (i) Aktionäre an dieser online teilnehmen, (ii) die Aktionäre, ohne an der Hauptversammlung teilzunehmen, ihre Stimme schriftlich oder im Wege elektronischer Kommunikation abgeben, (iii) die Hauptversammlung übertragen oder (iv) die Aufsichtsratsmitglieder zugeschaltet werden (die Einzelheiten ergeben sich aus § 118 AktG). Hierfür bedurfte es allerdings einer Grundlage/Ermächtigung in der Satzung der Aktiengesellschaft.
Infolge der gesetzlichen Neuregelung vom März 2020, die verlängert worden ist, gilt:

  • Anwendbarkeit der bislang bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten (§ 118 AktG) auch ohne Ermächtigung in der Satzung: Sofern eine Hauptversammlung bis zum 31.12.2021 durchgeführt wird, kann eine Übertragung der Hauptversammlung, eine Onlineteilnahme der Aktionäre, eine Stimmabgabe außerhalb der Hauptversammlung (schriftlich oder durch elektronische Kommunikation) oder eine Zuschaltung der Aufsichtsratsmitglieder auch ohne eine Grundlage in der Satzung erfolgen, wenn der Vorstand dies nach seinem Ermessen entscheidet und der Aufsichtsrat zustimmt (§ 1 Abs. 1 und Abs. 6 COVMG).

  • Option zur Durchführung ausschließlich virtueller Hauptversammlungen: Ferner besteht bis zum 31.12.2021 auch die Option, dass eine Hauptversammlung ausschließlich virtuell durchgeführt wird (§ 1 Abs. 2 COVMG). Dies kann gleichfalls durch den Vorstand nach seinem Ermessen beschlossen werden und bedarf der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 Abs. 6 COVMG).
    Bei einer virtuellen Hauptversammlung wird (im Gegensatz etwa zu einer bloßen Übertragung der Hauptversammlung oder einer Onlineteilnahme einzelner Aktionäre) die Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Vertreter abgehalten; die Aktionäre haben kein Teilnahmerecht. Diese Möglichkeit bestand vor dem Inkrafttreten des COVMG nicht. Im Jahr 2020 wurde von der Option, eine virtuelle Hauptversammlung durchzuführen, von zahlreichen Unternehmen Gebrauch gemacht.

Mindestanforderungen virtuelle Hauptversammlung: Die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ist gemäß der gesetzlichen Neuregelung nur zulässig, sofern zumindest die nachfolgenden Voraussetzungen eingehalten werden, nämlich

(1) die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt,

(2) die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,

(3) den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und

(4) den Aktionären, die ihr Stimmrecht nach (2) ausgeübt haben, unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.

Der Vorstand entscheidet dabei nach pflichtgemäßem Ermessen, welche Fragen er wie beant-wortet. Durch den Vorstand kann auch festgelegt werden, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind.

Die im Gesetz vorgesehenen Erleichterungen und insbesondere die Möglichkeit, eine virtuelle Hauptversammlung abzuhalten, vereinfachen die Durchführung einer Hauptversammlung erheb-lich. Ob von sämtlichen Erleichterungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht werden soll, ist im Ein-zelfall abzuwägen. Hier wird insbesondere die Struktur der Aktiengesellschaft (d.h. Anzahl der Aktionäre) von Bedeutung sein.

Weitere verfahrensrechtliche Erleichterungen: Neben den Erleichterungen hinsichtlich der Abhaltung von Hauptversammlungen wurden auch noch zusätzliche Vereinfachungen festgelegt, die durch den Vorstand nach freiem Ermessen beschlossen werden können, aber gleichfalls der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen:

  • Einberufung einer Hauptversammlung innerhalb einer verkürzten Frist von 21 Tagen (§ 1 Abs. 3 COVMG)

  • Zahlung eines Abschlags auf den Bilanzgewinn (§ 1 Abs. 4 COVMG).

Zustimmung des Aufsichtsrats: Der Aufsichtsrat kann seine Zustimmung zu der Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung, der Nutzung der Möglichkeiten des § 118 AktG oder den weiteren verfahrensrechtlichen Erleichterungen auch unabhängig von den jeweiligen Regelungen in der Satzung oder Geschäftsordnung schriftlich, mündlich oder in vergleichbarer Weise (z.B. per Videokonferenz) erteilen (§ 1 Abs. 6 COVMG). Diese Regelung gilt jedoch nicht für sonstige Auf-sichtsratsbeschlüsse (z.B. „Bilanzsitzung“). Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 6 COVMG können Aufsichtsratsbeschlüsse – sofern Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats nicht Erleichterungen oder Erschwerungen bei der Beschlussfassung vorsehen – schriftlich, telefonisch oder in vergleichbarer Weise (etwa Videokonferenz) gefasst werden, wenn kein Aufsichtsratsmitglied diesem Verfahren widerspricht (§ 108 Abs. 4 AktG).
Die oben beschriebenen Erleichterungen in Bezug auf die Durchführung von Hauptversammlun-gen und weitere Vereinfachungen gelten entsprechend für die KGaA und die SE (§ 1 Abs. 8 COVMG).

Erleichterungen im GmbH-Recht

Bislang konnten Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH nur dann außerhalb einer Gesellschafterversammlung gefasst werden, wenn sich alle Gesellschafter

(1) in Textform mit dem zu fassenden Beschluss oder

(2) mit der schriftlichen Stimmabgabe einverstanden erklären (§ 48 Abs. 2 GmbHG).

Dies gewährt einzelnen Gesellschaftern eine Blockademöglichkeit. Darüber hinaus ist eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren auch zulässig, wenn dies entsprechend in der Satzung vorgesehen ist.

Aufgrund der Gesetzesänderung ist es möglich, Gesellschafterbeschlüsse außerhalb einer Gesellschafterversammlung selbst dann zu fassen, wenn dies weder in der Satzung vorgesehen ist noch alle Gesellschafter damit einverstanden sind. Die Gesellschafterbeschlüsse können schriftlich oder in Textform gefasst werden (§ 2 COVMG). Bei einer Fassung in Textform ist z.B. nicht nur eine eigenhändig unterschriebene Stimmabgabe möglich, sondern auch ein Scan der unterschriebenen Stimmabgabe oder eine E-Mail. Welche sonstigen Regelungen für das Fassen eines Gesellschafterbeschlusses außerhalb von Gesellschafterversammlungen gelten sollen, wurde jedoch nicht geregelt. Es wird z.B. angenommen, dass Quoren (z.B. Mehrheitserfordernis von 70%), die gemäß der Satzung für die Beschlussfassung einzuhalten sind, auch für die Beschlussfas-sung außerhalb einer Gesellschafterversammlung gemäß § 2 COVMG Anwendung finden.

Virtuelle Gesellschafterversammlung sind bei der GmbH infolge der Neuregelung nicht zulässig. Anders als bei Aktiengesellschaften können virtuelle Gesellschafterversammlungen bei der GmbH weiterhin nur dann abgehalten werden, wenn diese in der Satzung zugelassen sind.

Keine Geltung der Regelungen für Personengesellschaften

Die oben skizzierten Änderungen wurden insbesondere für GmbH, AG, KGaA und SE erlassen. Eine explizite Regelung für Personengesellschaften (z.B. GbR, oHG, PartG, KG, GmbH & Co. KG) wurde nicht getroffen. Zu prüfen ist deshalb, ob und ggf. welche Anforderungen ein etwaiger bestehender Gesellschaftsvertrag an die Beschlussfassung und die Mehrheiten festlegt. Sofern keine abweichenden Regelungen getroffen worden sind, ist jedoch das Einstimmigkeitsprinzip für die Beschlussfassung zu beachten.

Folgerungen für die Praxis

Gesellschaftsverträge / Satzungen sind dahingehend zu überprüfen, ob sie auch die Möglichkeit gewähren, unabhängig von den gesetzlichen Erleichterungen eine Übertragung der Hauptversammlung vorzunehmen oder Beschlüsse elektronisch oder im Umlaufverfahren zu fassen. Um zukünftig über ein größeres Maß an Flexibilität zu verfügen, sollten entsprechende Möglichkeiten im Gesellschaftsvertrag/Satzung vorgesehen und ggf. ferner die Mehrheitsanforderungen geändert werden. Auch in Bezug auf die Beschlussfassung des Aufsichtsrats kann sich abhängig vom Einzelfall Anpassungsbedarf bei der Satzung und/oder der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats ergeben.

Wir unterstützen Gesellschaften und Gesellschafter, Gesellschafterversammlungen gemäß den derzeit aktuellen gesetzlichen Regelungen durchzuführen und die Gesellschaftsverträge bzw. Geschäftsordnungen dahingehend anzupassen, dass Gesellschafterversammlungen/Sitzungen des Aufsichtsrats zukünftig flexibler abgehalten werden können. Gerne stehe Ihnen bei Fragen zur Verfügung.

Dr. Irene Bayer, Fachanwältin für Steuerrecht
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